Monat: April 2025

Konstanz Weber – der große Bruder

Teil 2: Abenteuer Auswanderung

Childe Harold heißt das amerikanische Schiff, das am 5. April 1852 in Bremerhaven ablegt. Das Ziel ist New York. Die Überfahrt dauert 48 Tage. Der Kapitän heißt McHenry, er ist für 398 Passagiere verantwortlich. Angeblich sorgt er für gute Kost, eine gute Behandlung und eine ziemlich gute Reise.

Die New Yorker Auswanderer-Zeitung berichtet von monatlich 30.000 Einwanderern, von denen mindestens die Hälfte aus erwachsenen, arbeitsfähigen Männern besteht. Die Amerikaner begrüßen alle, „Weib und Kind und Mann“, als wertvolle Neubürger. „Ist es noch ein Wunder, daß Amerika blüht?“, fragt der Autor. Er versteht nicht, warum es „Natives“ gibt, die die Einwanderung scheel ansehen.

Unter den Passagieren des Dreimasters befindet sich Konstanz Weber. „Mit westfälischer Tinte“ beschreibt er in einem Brief an seinen Bruder Friedrich Wilhelm die Überfahrt und seine Tränen, weil „eine Macht von Ursachen“ ihn aus seinem Vaterland vertrieben hat. Den Betrieb im Hafen empfindet er als chaotisch, bevor alle Passagiere an Bord sind und Ruhe einkehrt. Aus der Wesermündung geht es an Norderney, an Helgoland, an der englischen und französischen Küste vorbei.

Als Dolmetscher kann Konstanz Weber sprachliche Barrieren zwischen den Passagieren und der Besatzung überwinden helfen. Als Priester kann er zwei Kinder taufen und für drei Gestorbene die Trauerfeier gestalten.

Als der eigene Proviant zur Neige geht, verteilt der sparsame Steuermann weißen und schwarzen Schiffszwieback, „so hart, daß es den Untergang der Welt überdauern kann“, Brötchen ohne Mehl, schlechten Kaffee oder Tee und später „faul gewordenes, stinkendes Trinkwasser“. Ab und zu gibt es übel zubereitete Kartoffeln, Heringe, Bohnen, Graupen, Sauerkraut, Erbsen und Reissuppe. Als die Fahrt zu lange dauert und Passagiere hungrig bleiben, kommt es zu einer Meuterei mit Plünderungen. Konstanz Weber übersetzt und schlichtet, er beruhigt den Kapitän, der Waffengewalt anwenden will.

Das Unterhaltungsprogramm enthält einen Ball auf dem Verdeck und heimatliche Gesänge im Mondschein, eine Walpurgisfeier, Andachten. Konstanz Weber sucht Trost im Gebet, mit Trauer denkt er an die Kommunion in Grönebach, die er verpasst.

Der Atlantik bietet Sturm und Flaute, Gewitter, Orkan und turmhohe Wellen. In Höhe der Neufundländer Sandbänke wird es bitterkalt. Den Männern geht der Tabak aus, sie behelfen sich mit gedörrtem Tee, Seegras aus den Matratzen und getrocknetem Kaffee.

Das erwartete Land des Friedens erreicht Konstanz Weber am 27. Mai 1852, nachts um 2 Uhr 27 deutscher Zeit. Er verbrachte 51 Tage auf dem Schiff.

 

Quelle:

Kuhne, Wilhelm: Sauerländer Gottesmänner. Nicht nur für die Seelen da …, Jahrbuch des HSK 2007

 

Leider gibt es kein Bild von Konstanz Weber.

 

Konstanz Weber – der große Bruder

Teil 1

„Konstanz war scheinbar ein intellektueller Überflieger, Künstlertyp, kein Verhältnis zu Finanzen oder Verwaltung, der in so einem Lausedorf wie Grönebach sicher völlig fehl am Platz, unterfordert und vielleicht deshalb unglücklich war.“

Konstanz? Der älteste Bruder Friedrich Wilhelm Webers kommt in der Familiengeschichte in der Regel nur als der Mentor des kleinen Fritz vor, der ihn in Paderborn auf den Besuch des Theodorianum vorbereitet und als „gestrenger Lehrmeister“ gilt.

Konstanz tritt in das Paderborner Priesterseminar ein und kommt dann in der Biografie des jüngeren Bruders nicht mehr vor. Ebenso wenig Interesse gilt in unserer Stadt dem jüngsten Bruder Louis und der kleinen Schwester Auguste.

Grönebach? Der Verfasser des obigen Zitats stammt aus diesem Ort, der heute Stadtteil von Winterberg im Hochsauerlandkreis ist. Vollends neugierig macht dann sein Hinweis darauf, dass Konstanz überstürzt nach Amerika ausgereist ist. Warum?

Konstanz Johannes Weber wird 1806 in Falkenhagen in Brandenburg geboren. Die Familie zieht nach Alhausen. Konstanz macht am Theodorianum Abitur, studiert Theologie und wird 1829 in Paderborn zum Priester geweiht. Er geht als Vikar nach Bad Driburg. Im Mai 1836 wird er nach Bühne versetzt, wo er eine Stelle als Pfarrverweser erhält. Von 1841 bis 1843 ist er Vikar in Medebach.

Im Jahr 1843 schreibt der Amtsbürgermeister in Niedersfeld, heute ebenfalls Stadtteil von Winterberg, die Stelle des Pfarrverwesers in Grönebach aus, ohne sich mit dem Generalvikariat in Paderborn abzusprechen. Der „Kaplan Konstantin Weber“ wird von diesem dennoch zum Pfarrverweser ernannt. Der falsche Vorname wird kopiert.

Der Bürgermeister bekommt Ärger, da eigentlich dem Baron von Gaugreben in Bruchhausen das Recht zusteht, die vakante Pfarrstelle zu besetzen. Die Gemeinde hat zudem das Vorschlagsrecht. Ein Gegenkandidat wird gefunden, doch in einer „Kampfabstimmung“ erhält Konstanz Weber die Mehrheit.

Ärger gibt es dann aus verschiedenen Gründen. Das Generalvikariat versucht zunächst zu schlichten.

Konstanz streicht die Frühmesse an Sonn- und Feiertagen. Er möchte eine neue Kirche bauen, weil die alte St. Lambertus-Kirche baufällig und zu klein ist. Das Pfarrhaus, die Scheune und der Stall sind in schlechtem Zustand. Drei Kühe, zwei Rinder, ein Kalb und 15 Schafe gehören zur Pfarrstelle.

Manche Gemeindemitglieder fürchten die Mehrkosten. Immerhin liefern sie ans Pfarramt zu Ostern vier Eier und zu Michaelis 23 Silbergroschen und 1 Pfennig. Auch der Küster erhält einen Teil. Das Pfarramt bringt 300 Taler ein. Zum Vergleich: Lehrer oder Förster bekommen jährlich 50 bis 60 Taler.

Konstanz Weber mischt sich in den Hausierhandel ein, in das Bauernrecht, die Holzzuteilung, die Industrieschule. Zu viele Klagen erreichen das Generalvikariat.

Und dann bedauert Konstanz Weber öffentlich, dass die Revolution 1848 gescheitert ist. Er kritisiert das Dreiklassenwahlrecht, das Großgrundbesitzer und Besserverdienende bevorzugt. Er kandidiert bei der Wahl zum Preußischen Abgeordnetenhaus, unterliegt aber einem Liberalen.

Die bischöfliche Behörde mahnt ihn mehrfach, seine Verwaltungsaufgaben gründlicher wahrzunehmen, die er vernachlässigt hat. Er hat Schulden, etwa beim Buchhändler.

Das Generalvikariat enthebt am 26. Februar 1852 Konstanz Weber seines Amtes. Ein neuer Pfarrer ist schon bestimmt. Als Begründung werden „Zweifel an der ordnungsgemäßen Verwendung des Vermögens des kirchlichen Grundbesitzes in Grönebach“ genannt.

Konstanz verkauft seine Besitztümer, Möbel, Bücher und Vieh. Anfang April 1852 bucht er in Bremen die Überfahrt nach New York.

„Entgegen dem damaligen Zeitgeist besaß Weber eine freiheitlich-demokratische Grundeinstellung. Gegen alles, was die menschliche Freiheit einschränkte, hatte er eine tiefe Abneigung. Es wundert daher nicht, dass er alles Absolutistische und Autoritäre, wofür das Königreich Preußen stand, verabscheute. Seine Grundeinstellung führte zwangsläufig dazu, dass er auch zur kirchlichen Obrigkeit ein angespanntes Verhältnis hatte“, schreibt Ewald Stahlschmidt und nennt Wilhelm Kuhne, der ihn „im Spannungsfeld der Machtstrukturen“ sieht („Die Warte Nr. 80/1993).

Konstanz Weber traut am 31. Januar 1850 seinen Bruder Friedrich Wilhelm und Anna Gipperich in Meschede, wo ihre Eltern wohnen. Zwei Jahre später wandert er aus. Sieben Jahre später, am 27. September 1859, stirbt er in Rome in der Diözese Albany.

 

Danke für die Anregungen und Texte aus Grönebach!

 

Ewald Stahlschmidt: Konstantin Weber, eine der markantesten Persönlichkeiten in der jahrhundertealten Geschichte von „St. Lambertus“ und des Kirchspiels Grönebach, De Fitterkiste Nr. 30/2021

 

Leider gibt es kein Bild von Konstanz Weber.

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