Monat: August 2025

„Vorbei, vorbei!“

Nachtwolke Teil 2

Die Romantik, das Biedermeier, der Vormärz, das Junge Deutschland und weitere Strömungen konkurrierten Mitte des 19. Jahrhunderts miteinander.

Friedrich Wilhelm Weber war ein fleißiger Leser. Wenn die Bad Driburger heute etwas von ihm lernen könnten, dann wäre es das fleißige Lesen. Weber hatte im Paderborner Theodorianum Latein als Unterrichtsfach. Seine Doktorarbeit über das Struma musste er in lateinischer Sprache verfassen.

Weber lernte bei einem Besuch in Schweden 1836 die schwedische Sprache kennen und erlernte sie überwiegend als Autodidakt. Er übersetzte schwedische Literatur (Tegnér). Die englische Sprache musste er auch sicher beherrschen, denn er übersetzte auch englische Literatur (Tennyson).

Schon seine Schulzeit und das Abitur in Paderborn entfernten ihn von einem Großteil der Driburger Bevölkerung, die sich mit der Bildung etwas schwertat. Seine literarischen Studien und sein umfangreiches Wissen verwendete er in seinen eigenen literarischen Arbeiten, so auch in der Nachtwolke.

Nie habe ich von dem Ausdruck „Firnen“ im Zusammenhang mit einem Zecher gehört. „Firn“ verband ich mit Schnee und Eis. Tatsächlich ist er geläufig als alter, mehrfach verdichteter Schnee.

beim Gelag, vom Firnen unterjocht (2. Str., 2. Z.)

Das Gelage muss nicht erläutert werden. Umgangssprachlich würden Bad Driburger mit dem Ausdruck Saufgelage kein Verständnisproblem haben. Dass jemand unterjocht wird, könnte schon weniger geläufig sein. Bauern kennen vielleicht noch das Joch, das je zwei Zugtieren, also Pferden oder Ochsen, über den Hals gelegt wurde, damit sie größere Lasten ziehen konnten.

Winzer wissen, dass Wein falsch gelagert und durch Oxidation bitter werden kann. Überlagerter Wein bekommt einen Firn-Geschmack. Wenn der Zecher zu viel von diesem – fehlerhaften und dadurch billigen – Wein zu sich nimmt, unterdrückt ihn der Alkohol. Der „greise“ Zecher verträgt nicht viel davon. Schlechte Träume und Aggressionen sind die Folge.

Weber vergleicht die sinnlos daliegende Stadt mit solch einem Zecher. Die Stadt lässt sich unterdrücken, ihre Bürgerinnen und Bürger lassen sich unterjochen. Ihre wüsten Träume behalten sie für sich.

Mein Feuer war’s, das Sodoma verbrannte,
Mein Donner war’s, der zu Gomorrha sprach. (3, 3+4)

Auch wenn Bad Driburger heute nicht mehr so bibelfest sein dürften wie zu Webers Zeit, wissen die meisten etwas mit Sodom und Gomorrha anzufangen. Die Zerstörung der beiden Städte um 1650 v.Chr. gilt als historisch gesichert. Laut der Bibel werden sie von Gott zerstört, der die Bewohner für ihr sündiges Verhalten bestraft.

Schergen (4, 3) kann man im heutigen Sprachgebrauch Handlanger nennen. Im Mittelalter waren es Stadtknechte oder Gerichtsdiener, die im Auftrag der Obrigkeit Bürgerinnen und Bürger verhafteten und auch vor Folter nicht zurückschreckten.

Mietlingshaufen (4, 3) bezeichnen gemietete, also bezahlte, käufliche Leute, Söldner. Sie waren in den früheren Gesellschaften sozial geächtet. In der Bibel waren Mietlinge Hirten, die über die Schafherden wachten, nicht weil ihnen die Schafe am Herzen lagen, sondern weil sie dafür bezahlt wurden.

Die biblische Geschichte von Kain und Abel ist sicher noch den meisten Bad Driburgern bekannt. Kain erschlug Abel aus Neid und Eifersucht.

mit dem Blut der Märtyrer (6, 3)

Die sechste Strophe ist vor allem durch die komplizierte Satzstruktur nicht leicht zu verstehen. Als Märtyrer sieht Weber die Opfer der Regierungen in der Metternich-Ära und möglicherweise auch während und nach der gescheiterten Revolution 1848. Von dem Kölner Robert Blum etwa könnte Weber erfahren haben, dem populärsten Demokraten des Vormärz, der für Freiheit, Einheit und Völkerverständigung eintrat. Blum wurde im November 1848 hingerichtet. — Im Berliner Schloss Bellevue, dem Amtssitz unseres Bundespräsidenten, wurde 2020 ein Saal nach Blum benannt.

Weh dir, o Babel, deiner Lüste wegen,
Weh dir um deine Hoffart, Ninive! (7, 3+4)

Wieder nutzt Weber biblische Erzählungen. Babel oder Babylon war eine Stadt im heutigen Irak. Als Sündenbabel steht sie sprichwörtlich für Unmoral, Verdorbenheit, Unzucht und Laster. Wie Sodom und Gomorrha wird Babel von Gott zerstört.

Der Begriff Hoffart kennzeichnet Hochmut, Anmaßung, Stolz und Überheblichkeit ohne Rücksicht auf andere. Die Bürger von Ninive in Mesopotamien, dem heutigen Irak, sind laut Bibel überheblich und böse, aber weil sie Buße tun, in „Sack und Asche“, werden sie von Gott verschont.

Wie Amos weint, der Held von Thekoa. (10, 4)

Der Prophet Amos trat laut Bibel für die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter und Lohnabhängigen in Tekoa/Juda und im Nordreich Israel ein. Er legte sich mit den Großgrundbesitzern an und predigte gegen Verschwendung, Betrug, Bestechung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung der Armen. Amos weint, weil er die Zerstörung Israels durch Gott unweigerlich kommen sieht.

Das Prophetenwort (11, 4) „Von unten auf!“ bezieht sich auf den in Detmold geborenen Schriftsteller Ferdinand Freiligrath, der 1846 den Gedichtband „Ça ira!“ veröffentlichte, „Wir schaffen das!“, ein Motto aus der Französischen Revolution 1789. Er floh aus Furcht vor der Verhaftung und Hinrichtung ins Ausland. Nach einer Amnestie lebte er im schwäbischen Cannstatt.

So lag Pompeji in des Schlummers Schoß:
Da barst der Berg, da brach sein altes Hassen,
Die rote Lava seines Zornes los. (12, 2-4)

Pompeji schlummert wie die schlafversunkne Stadt in der ersten Strophe. Die Zerstörung der Stadt durch den Ausbruch des Vulkans Vesuv 79 n.Chr. ist bekannt. Weber schildert ihn als hassenden, zornigen Berg.

Die Iburg war eine sächsische Fliehburg, keine Zwingburg (14, 1), aber Burgruinen sind den Bad Driburgern bekannt.

Völlig unbekannt dürfte den meisten Ragnarök (15, 1) sein und die Sage vom Untergang der nordischen Götterwelt, von der auch die ältere isländische „Edda“ singt. Nach dem Untergang der alten Welt entsteht eine neue, jung, frisch, grün und brüderlich.

Nach alter Tafeln frommer Satzung (15, 4) sollen die Menschen nun leben. Da fällt mir die Tafelrunde ein, der runde Tisch des König Artus, die guten Ritter Lancelot, Parzival und Tristan. Ich denke an die Geschichten von Richard Löwenherz und Robin Hood. Die Ritter sind Kämpfer für Gerechtigkeit, gegen Willkür, ihr runder Tisch macht alle ohne Unterschiede gleich. Artus ist der ideale mittelalterliche König.

Eine Satzung könnte hier Verfassung bedeuten, fromm weniger religiös bezogen als ethisch und moralisch. Weber hing an der Idee einer konstitutionellen Monarchie mit weitreichenden bürgerlichen Freiheiten.

Es ist nicht Gottes jüngstes Gericht, das Weber beschwört, aber aus der Zerstörung des Alten entsteht neues Licht. Die 16. Strophe ist der Kern der Nachtwolke.

So wird aus deinem Staub zu neuem Lichte
Ein freies Volk erblühn voll That und Macht. (16, 1+2)

Das Volk soll erblühen, es soll frei, aktiv und mächtig sein. Da kommt der „rote Weber“ zum Vorschein. Das sind die demokratischen Ideen des Vormärz. Die Geschichte wartet mit erhobenem Griffel darauf, die neue Zeit zu dokumentieren. Dass die Stadt sie peinlich verschlafen hat, wird dann vergessen sein.

Aber die letzte Strophe erklärt alle vorherigen zur Farce. Weber hat das Gedicht 1839 begonnen und 1852 abgeschlossen, wohl auch mit den 1848er Träumen.

Vorbei, vorbei! (17, 1)

Die Hoffnung auf Freiheit, Brüderlichkeit und Demokratie ist zerstört. Nur der Wald, die vielgerühmte Natur in den Werken Friedrich Wilhelm Webers, bleibt als Trost.

Über Baalbeks Trümmer (17, 4) zu weinen lohnt nicht mehr. Baalbeks Tempel sind Ruinen, die Stadt im Libanon gibt es noch. Die Zerstörung hat noch kein Ende gefunden. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Von unten auf“

Nachtwolke Teil 1

Das Gedicht „Nachtwolke“ entwarf Friedrich Wilhelm Weber 1838 und bearbeitete es bis 1852. Wenn die Menschen, denen er Demagogenriecherei vorwarf, es 1848 gelesen und auch richtig interpretiert hätten, wäre wohl auch Weber zum Auswandern gezwungen gewesen.

Es ist sehr komplex, historisch überladen, zu symbolhaft geraten, als dass es zur Lektüre der Dreizehnlinden-Liebhaber hätte werden können.

Warum nannte er das Gedicht Nachtwolke?

Am 21. Juni jedes Jahres findet die sogenannte Sommersonnenwende statt. Die Tage werden nun wieder kürzer. Um diesen längsten Tag herum kann man am Nachthimmel bläulich leuchtende Wolken sehen. Die Engländer nennen sie „Noctilucent clouds“. Sie bilden sich in etwa 80 Kilometern Höhe, dort, wo auch Sternschnuppen entstehen. Dort oben ist die Luft extrem dünn. Bei minus 140 Grad gefriert der Wasserdampf, die Eiskristalle verbinden sich zu Wolken und reflektieren das Sonnenlicht. Dieses Strahlen kann man in nördlicheren Gebieten sehen, wenn die Sonne gerade unter dem Horizont versinkt und der übrige Himmel bereits dunkel ist.

Die nachtleuchtenden Wolken werden als wunderschön bläulich bis hin zu silbrig-weiß gefärbt beschrieben und sind in sich fein gewellt. Man sieht sie am besten spät abends oder vor Sonnenaufgang bei klarem Himmel.

„Vergiß nicht, daß jede schwarze Wolke eine dem Himmel zugewandte Sonnenseite hat.“ Webers Nachtwolke?

Weber geht in seinem Gedicht nicht auf das Himmelsphänomen ein. Er schreibt von dunklen Flügeln, umdüsterten Stadtmauern, der in Schlaf versunkenen Stadt, vom schlummernden Pompeji, von dem blassen Mond als Leichenfackel, von der Nacht, die eine Schmach verdeckt und vergessen macht. Er ruft die Stadt auf, wach zu werden. Sie wird als Ruine enden, doch aus dem Staub soll neues Licht entstehen.

Weber war belesen und gebildet. Es ist möglich, dass er Nachtwolken gesehen hat, auf seiner Reise nach Schweden etwa. Es ginge zu weit, hier über den Hoffnungsschimmer am dunklen Horizont zu spekulieren.

Webers Stadt – Greifswald? –  ist groß und stolz, aber sie schläft. Weber vergleicht sie mit einem sinnlos betrunkenen Zecher nach einem Weingelage, der wüst, unverschämt und frech träumt, dem es im Hirn und in den Adern kocht, aber eben nur im Traum.

In dem Gedicht folgt harsche Kritik an den Herrschenden: an der Justiz und ihren Handlangern, an der Kirche, an den Fürsten, aber auch an den Frauen, an den Reichen, an den Banken. Dann kommt der Rächer, aber nicht von oben, sondern „von unten“.

Weber bezieht sich hier auf den geflohenen Dichter Ferdinand Freiligrath, der in seinem Gedicht „Von unten auf“ eine radikal neue Welt beschwört.

„Wir sind die Kraft! Wir hämmern jung das alte morsche Ding, den Staat,
Die wir von Gottes Zorne sind bis jetzt das Proletariat!“

Aber Weber weiß, dass die Revolution vorbei ist. Am Ende wendet er sich weinend seinem grünen Freund, dem Wald zu.

Er kapituliert.

Wie rot war der rote Weber?

Wenn man Friedrich Wilhelm Webers Würdigung in der Stadtgeschichte von Bad Driburg betrachtet, zählt in erster Linie sein spätes Epos über die Christianisierung der Sachsen. In Bad Driburg griff man an wonnigen Frühlingstagen nach dem Wanderstab und streifte mit dem Blumenstrauß am Hut durch Gottes Garten.

Webers Geburtshaus in Alhausen mit der Dreizehnlinden-Gaststätte, die jetzt Lindenhof heißt, der Dreizehnlinden-Halle, dem Dreizehnlindenweg, der Straße Auf der Thingstätte legt sich auf das Alterswerk ihres Arztes, Politikers und Dichters fest. Das allerdings entstand in Thienhausen, nicht in Alhausen.

Die Alhauser Webseite nennt die Reihenfolge Arzt, Dichter, Politiker. Immerhin heißt es dort:

Neben seiner medizinischen Tätigkeit engagierte sich Weber aktiv in der Politik. Bereits während der Ereignisse von 1848 gründete er den „Verein der Volksfreunde“ in Driburg und setzte sich in öffentlichen Reden für demokratische Rechte ein. Von 1862 an vertrat er mehr als 30 Jahre den Wahlkreis Höxter-Warburg im Preußischen Abgeordnetenhaus.

Auf der neuen Seite friedrich-wilhelm-weber.de der Friedrich-Wilhelm-Weber-Gesellschaft steht an erster Stelle sein Glaube, an zweiter Dreizehnlinden als Beispiel für Heimat und Natur und an dritter Stelle Dichtung und Politik. Darin heißt es lapidar:

Weber war nicht nur Arzt. Er engagierte sich politisch als Demokrat …

War Weber rot? Stritt er für eine demokratische Ordnung?

Im Jahr 2013 erschien von Rüdiger Bernhardt im Rahmen der „Beiträge zu Studium und Dichtung“ der Brakeler Schriftenreihe 25 ein Beitrag über Friedrich Wilhelm Weber.

Bernhardt weist darauf hin, dass Weber selbst wenig Autobiografisches über seine „frühe Haltung“ hinterlassen habe. Auch der Biograf Julius Schwering habe das Zeitgeschehen in Webers Frühphase kaum beachtet.

Zeitgeschehen war 1815 der Wiener Kongress, der mit Napoleons Herrschaft aufräumte. Weber war zwei Jahre alt. Zeitgeschehen war die Julirevolution 1830 in Frankreich. Die Adelsherrschaft wurde beendet und Frankreich wurde Republik. In den über 40 deutschen Fürstentümern wuchs die Angst vor den Demokraten. Zeitgeschehen war das Hambacher Fest 1832, das wichtigste Ereignis in der Geschichte der deutschen Demokratie und des Liberalismus, im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold. Weber war 19 Jahre alt.

Zeitgeschehen war die Revolution 1848, die im März in Berlin ankam und auch in anderen deutschen Landesteilen Bürger auf die Barrikaden brachte. Zeitgeschehen war das 1848 veröffentlichte Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels.

Die Epoche vor 1848 wird in der Literaturwissenschaft als Vormärz und Junges Deutschland bezeichnet.

Bernhardt befasst sich zunächst mit Webers Studentenakte. Die Bezeichnung „roter Weber“ bezieht er aus Johannes Heinemanns Arbeit „Der Streiter für eine demokratische Ordnung“ von1994. Nachdem er ihn als konservativen Politiker und traditionell orientierten Dichter einstuft und ihn zeitlich ab 1862 im preußischen Landtag einordnet, schreibt er:

Er wurde auch als der „rote Weber“ in Folge seines ausgeprägten Gerechtigkeitssinnes bezeichnet, den Weber mit seiner ärztlichem [sic!] Verpflichtung verband und während seines Berufslebens in tätige Hilfe umsetzte.

Demnach ist also ein Arzt „rot“, der für Gerechtigkeit eintritt und seinen Beruf ernstnimmt.

Das ist eine erstaunlich unwissenschaftliche und ziemlich verschwurbelte Einordnung.

Rot waren die Mützen der Jakobiner während der Französischen Revolution 1789, denen es um die Abschaffung der Monarchie ging.

Rot war die Kleidung der Arbeiter in der Lyoner Seidenindustrie, die gegen ihre Hungerlöhne protestierten. Rot waren 1834 die Fahnen der Pariser Demonstranten,

Rot waren die Fahnen der Kölner Revolutionäre, als 1848 die Nachricht von den revoltierenden Franzosen in die Stadt kam und die Bürger auf die Straße trieb. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ hatten Kölnerinnen auf die rote Fahne gestickt. Karl Marx war in der Stadt. Eine Demokratische Gesellschaft wurde gegründet.

Die meisten Bürger aber wollten nicht radikal sein. Biedermeiers wollten nicht politisch agitieren. Sie wollten eine einheitliche deutsche Nation, sie wollten Schwarz-Rot-Gold, die Fahne der studentischen Burschenschaften. In den Augen der Herrschenden war auch diese Version radikal und revolutionär.

Die Sozialdemokraten führen ihre Partei auf das Gründungsjahr 1863 zurück, als der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein entstand. 1869 nannte sich die Partei Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Ihre Fahne war rot, „bandiera rossa“.

Sozialisten und Kommunisten hatten rote Fahnen.

Friedrich Wilhelm Weber als einer der ersten Driburger Sozialdemokraten!? Das wäre doch einmal eine wirklich neue Sicht.

Wie rot war Weber?

1834 begann er sein Medizinstudium in Greifswald. Die Preußen hatten die ehemals schwedische, als liberal geltende Universitätsstadt übernommen. 1835 trat Weber der Burschenschaft Pomerania bei, einer schlagenden Verbindung. Er studierte neben Medizin auch Literatur. Er schrieb Gedichte, die den Einfluss der vormärzlichen Literatur zeigten.

Bernhardt zitiert früh eine späte Aussage Webers aus dem Jahr 1888:

„Irrung? Vielleicht! Wer schwärmte nicht im Lenze?“

Weber geriet als Burschenschafter ins Visier der preußischen Behörden. Ihm wurde der Freitisch entzogen, das kostenlose Mensa-Essen.

Der Student Weber machte nun selbst die Erfahrung sozialer Not. Seine Existenz stand auf dem Spiel, er musste vorsichtig sein. Oppositionelle wurden als „Demagogen“ verfolgt, verhaftet, zum Tode verurteilt. 1836 wurden die Schriften des Jungen Deutschland verboten.

Weber wurde mehrmals wegen angeblicher politischer Aktivitäten verhaftet, aus Mangel an Beweisen jedoch entlassen. 1837 sekundierte er bei einem verbotenen Duell, ein weiteres Mal leistete er dabei ärztliche Hilfe und wurde zu je einer Woche Karzer verurteilt. Politisch aktiv wurde er nie, und kritische Gedichte veröffentlichte er nicht.

Er promovierte 1838 und schloss sein Studium ab. Trotz seiner finanziell unsicheren Lage reiste er durch Europa. Erst 1841 ließ er sich in Alhausen und dann in Driburg als praktischer Arzt nieder.

Was ging im Revolutionsjahr 1848 in Driburg vor sich? Welche Rolle spielte Weber dabei?

Weber äußert selbst, dass er von den Ergebnissen der 1848er Revolution enttäuscht war. Er hatte auf eine nationale Einigung der vielen deutschen Fürstentümer unter einem Monarchen und einer Verfassung gehofft. Er hatte sich mehr bürgerliche Freiheiten gewünscht. Sein Namensgeber, der seit 1840 preußische König Friedrich Wilhelm, war seine Hoffnung gewesen.

Weber engagierte sich als Arzt, schilderte sein Mitgefühl mit den Armen, Mittellosen, Kranken, Sterbenden, pflegte seine christliche Grundhaltung. Er wurde als Menschenfreund wahrgenommen.

„Ich hatte in jungen Jahren einen heißen Kopf“, soll er gesagt haben. 1848 war er 35 Jahre alt und nicht mehr jung.

Die Revolution kam 1848 auch in der „kleinbürgerlichen Beschränktheit der Landstadt“ (Schwering 126) an. Sie konnte Weber einen Ausflug aus seinem „Mangel an geistiger Anregung und Förderung“ bieten. Schwering sieht ihn „mit seinen vollen Sympathien auf der Seite der Linken“ (136), gegen Demagogie, aber für eine „bessere Demokratie für die Armen und Leidenden“. Das klingt nach Sozialdemokratie.

Ein „Funken“ (139) der Revolution fiel in das Driburger Tal, in den „stillen westfälischen Badeort“. Ein „Verein der Volksfreunde“ wurde gegründet.

Weber sah sich als Demokrat und wurde Mitglied dieser demokratischen „Partei“. Er trat als Redner auf, nicht radikal, sondern gemäßigt. Die Bezeichnung „roter Weber“ entstand.

Eine aufgehetzte Gruppe wollte das Haus eines jüdischen Kaufmanns stürmen und plündern. Weber, der „volksfreundliche Arzt“, trat den Leuten entgegen und konnte sie zur Besinnung bringen. Trotzdem eckte er an, der Driburger Kaplan (Vikar) Johannigmann, ein Monarchist, kanzelte ihn in St. Peter und Paul mehrmals ab. Er predigte, Demokraten störten die öffentliche Ordnung, und Katholiken dürften keine Demokraten sein.

Eine Gruppe von Driburgern und Auswärtigen zog protestierend und Freiheitslieder singend mit roten Fahnen zum Gräflichen Bad. Der Hausherr hatte sich in Sicherheit gebracht. „Ein gewisser Arzt Weber“ wurde von dem Kaplan mit den Aufrührern in einen Topf geworfen, obwohl er gar nicht dabei war. Er versuchte den Zuhörern bei den Gastwirten Wolff und Huneke die Demokratie zu erklären.

Seine Freunde wollten Weber dann auch als Kandidaten für die zweite Nationalversammlung in Berlin Anfang 1849 nominieren.

Stattdessen gründete er eine Familie.

Im Juli 1848 lernte er bei einem Hausbesuch in Altenbeken Anna Gipperich aus Meschede kennen, die Tochter eines königlichen Bergbeamten. Im Haus des Direktors Simmersbach, der die Eisenwerke leitete, nannte man ihn den „schönen, schwarzen Doktor“ (142). Nun wandelte er auf Freiersfüßen. Er reiste nach Meschede, die beiden verlobten sich. Sie schrieben sich Briefe. Er bedauerte, dass er „in einem so verlorenen Winkel der Erde“ wohne und die Welt nur vom Hörensagen kenne. „Welch eine traurige Hauptstadt ist die Hauptstadt Paderborn!“

Weber fürchtete, dass die Paderborner Goldschmiede den Verlobungsring zu weit gearbeitet hatten, weil sie die „breiten Hände ihrer Landsmänninnen“ (145) zum Maß genommen hatten. Die Liebe hatte ihn angeblich „edler, besser und menschlicher“ gemacht.

Dann endlich schrieb er ihr von seinem „Volksverein“, der ihn und sechs weitere „Demokraten“ gewählt habe. Er sollte als Deputierter nach Berlin gehen. Er aber lehnte ab.

Statt mit der Steuerverteilung, bäuerlichen Lasten, Arbeitsschutz und Gewerbeordnung befasste er sich mit der Heiratsanzeige und Gedichten an seine Verlobte sowie der Einrichtung einer Mietwohnung im Haus des Färbers Bobbert der Kirche gegenüber.

Die Hochzeit fand am 21. Januar 1850 in Meschede statt. Webers Bruder Konstanz traute die beiden. Im Februar 1851 kam Elisabeth zur Welt.

Da war die Revolution längst vorbei. Weber war erst einmal nur noch Arzt und Dichter. Erst einige Jahre später wurde er in den Rat gewählt und durfte Protokolle schreiben. Lesen und schreiben konnte er ja.

Die Lieder von der Teutoburg, in denen er zum Freiheitskampf aufruft und die Fürsten ebenso wie die Geistlichen kritisiert, wurden nicht veröffentlicht. Er schrieb Gedichte über christliche Nächstenliebe, soziales Elend und die Natur in seiner Heimat. Also reduzierten auch seine Nachfahren ihn auf die westfälische christliche Tradition und zitierten den berühmten Blumenstrauß am Hut. Im Preußischen Landtag gehörte Weber ab 1862 der katholischen Fraktion und dann dem Zentrum an.

Da blieb nichts Rotes.

Über Thomas Mann (1875 – 1955) titelten Presseorgane im Jahr 2025: „Vom Reaktionär zum Antifaschisten“, „Vom Reaktionär zum Demokraten“, „Vom Reaktionär zum Vernunftrepublikaner“. Von politischer Emanzipation zum mutigen Streiter für die liberale Demokratie war die Rede.

Schön wäre es für uns Demokraten, wenn wir auch unseren Lokaldichter so einordnen könnten. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass seine Entwicklung umgekehrt verlief.

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