Wenn man Friedrich Wilhelm Webers Würdigung in der Stadtgeschichte von Bad Driburg betrachtet, zählt in erster Linie sein spätes Epos über die Christianisierung der Sachsen. In Bad Driburg griff man an wonnigen Frühlingstagen nach dem Wanderstab und streifte mit dem Blumenstrauß am Hut durch Gottes Garten.
Webers Geburtshaus in Alhausen mit der Dreizehnlinden-Gaststätte, die jetzt Lindenhof heißt, der Dreizehnlinden-Halle, dem Dreizehnlindenweg, der Straße Auf der Thingstätte legt sich auf das Alterswerk ihres Arztes, Politikers und Dichters fest. Das allerdings entstand in Thienhausen, nicht in Alhausen.
Die Alhauser Webseite nennt die Reihenfolge Arzt, Dichter, Politiker. Immerhin heißt es dort:
Neben seiner medizinischen Tätigkeit engagierte sich Weber aktiv in der Politik. Bereits während der Ereignisse von 1848 gründete er den „Verein der Volksfreunde“ in Driburg und setzte sich in öffentlichen Reden für demokratische Rechte ein. Von 1862 an vertrat er mehr als 30 Jahre den Wahlkreis Höxter-Warburg im Preußischen Abgeordnetenhaus.
Auf der neuen Seite friedrich-wilhelm-weber.de der Friedrich-Wilhelm-Weber-Gesellschaft steht an erster Stelle sein Glaube, an zweiter Dreizehnlinden als Beispiel für Heimat und Natur und an dritter Stelle Dichtung und Politik. Darin heißt es lapidar:
Weber war nicht nur Arzt. Er engagierte sich politisch als Demokrat …
War Weber rot? Stritt er für eine demokratische Ordnung?
Im Jahr 2013 erschien von Rüdiger Bernhardt im Rahmen der „Beiträge zu Studium und Dichtung“ der Brakeler Schriftenreihe 25 ein Beitrag über Friedrich Wilhelm Weber.
Bernhardt weist darauf hin, dass Weber selbst wenig Autobiografisches über seine „frühe Haltung“ hinterlassen habe. Auch der Biograf Julius Schwering habe das Zeitgeschehen in Webers Frühphase kaum beachtet.
Zeitgeschehen war 1815 der Wiener Kongress, der mit Napoleons Herrschaft aufräumte. Weber war zwei Jahre alt. Zeitgeschehen war die Julirevolution 1830 in Frankreich. Die Adelsherrschaft wurde beendet und Frankreich wurde Republik. In den über 40 deutschen Fürstentümern wuchs die Angst vor den Demokraten. Zeitgeschehen war das Hambacher Fest 1832, das wichtigste Ereignis in der Geschichte der deutschen Demokratie und des Liberalismus, im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold. Weber war 19 Jahre alt.
Zeitgeschehen war die Revolution 1848, die im März in Berlin ankam und auch in anderen deutschen Landesteilen Bürger auf die Barrikaden brachte. Zeitgeschehen war das 1848 veröffentlichte Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels.
Die Epoche vor 1848 wird in der Literaturwissenschaft als Vormärz und Junges Deutschland bezeichnet.
Bernhardt befasst sich zunächst mit Webers Studentenakte. Die Bezeichnung „roter Weber“ bezieht er aus Johannes Heinemanns Arbeit „Der Streiter für eine demokratische Ordnung“ von1994. Nachdem er ihn als konservativen Politiker und traditionell orientierten Dichter einstuft und ihn zeitlich ab 1862 im preußischen Landtag einordnet, schreibt er:
Er wurde auch als der „rote Weber“ in Folge seines ausgeprägten Gerechtigkeitssinnes bezeichnet, den Weber mit seiner ärztlichem [sic!] Verpflichtung verband und während seines Berufslebens in tätige Hilfe umsetzte.
Demnach ist also ein Arzt „rot“, der für Gerechtigkeit eintritt und seinen Beruf ernstnimmt.
Das ist eine erstaunlich unwissenschaftliche und ziemlich verschwurbelte Einordnung.
Rot waren die Mützen der Jakobiner während der Französischen Revolution 1789, denen es um die Abschaffung der Monarchie ging.
Rot war die Kleidung der Arbeiter in der Lyoner Seidenindustrie, die gegen ihre Hungerlöhne protestierten. Rot waren 1834 die Fahnen der Pariser Demonstranten,
Rot waren die Fahnen der Kölner Revolutionäre, als 1848 die Nachricht von den revoltierenden Franzosen in die Stadt kam und die Bürger auf die Straße trieb. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ hatten Kölnerinnen auf die rote Fahne gestickt. Karl Marx war in der Stadt. Eine Demokratische Gesellschaft wurde gegründet.
Die meisten Bürger aber wollten nicht radikal sein. Biedermeiers wollten nicht politisch agitieren. Sie wollten eine einheitliche deutsche Nation, sie wollten Schwarz-Rot-Gold, die Fahne der studentischen Burschenschaften. In den Augen der Herrschenden war auch diese Version radikal und revolutionär.
Die Sozialdemokraten führen ihre Partei auf das Gründungsjahr 1863 zurück, als der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein entstand. 1869 nannte sich die Partei Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Ihre Fahne war rot, „bandiera rossa“.
Sozialisten und Kommunisten hatten rote Fahnen.
Friedrich Wilhelm Weber als einer der ersten Driburger Sozialdemokraten!? Das wäre doch einmal eine wirklich neue Sicht.
Wie rot war Weber?
1834 begann er sein Medizinstudium in Greifswald. Die Preußen hatten die ehemals schwedische, als liberal geltende Universitätsstadt übernommen. 1835 trat Weber der Burschenschaft Pomerania bei, einer schlagenden Verbindung. Er studierte neben Medizin auch Literatur. Er schrieb Gedichte, die den Einfluss der vormärzlichen Literatur zeigten.
Bernhardt zitiert früh eine späte Aussage Webers aus dem Jahr 1888:
„Irrung? Vielleicht! Wer schwärmte nicht im Lenze?“
Weber geriet als Burschenschafter ins Visier der preußischen Behörden. Ihm wurde der Freitisch entzogen, das kostenlose Mensa-Essen.
Der Student Weber machte nun selbst die Erfahrung sozialer Not. Seine Existenz stand auf dem Spiel, er musste vorsichtig sein. Oppositionelle wurden als „Demagogen“ verfolgt, verhaftet, zum Tode verurteilt. 1836 wurden die Schriften des Jungen Deutschland verboten.
Weber wurde mehrmals wegen angeblicher politischer Aktivitäten verhaftet, aus Mangel an Beweisen jedoch entlassen. 1837 sekundierte er bei einem verbotenen Duell, ein weiteres Mal leistete er dabei ärztliche Hilfe und wurde zu je einer Woche Karzer verurteilt. Politisch aktiv wurde er nie, und kritische Gedichte veröffentlichte er nicht.
Er promovierte 1838 und schloss sein Studium ab. Trotz seiner finanziell unsicheren Lage reiste er durch Europa. Erst 1841 ließ er sich in Alhausen und dann in Driburg als praktischer Arzt nieder.
Was ging im Revolutionsjahr 1848 in Driburg vor sich? Welche Rolle spielte Weber dabei?
Weber äußert selbst, dass er von den Ergebnissen der 1848er Revolution enttäuscht war. Er hatte auf eine nationale Einigung der vielen deutschen Fürstentümer unter einem Monarchen und einer Verfassung gehofft. Er hatte sich mehr bürgerliche Freiheiten gewünscht. Sein Namensgeber, der seit 1840 preußische König Friedrich Wilhelm, war seine Hoffnung gewesen.
Weber engagierte sich als Arzt, schilderte sein Mitgefühl mit den Armen, Mittellosen, Kranken, Sterbenden, pflegte seine christliche Grundhaltung. Er wurde als Menschenfreund wahrgenommen.
„Ich hatte in jungen Jahren einen heißen Kopf“, soll er gesagt haben. 1848 war er 35 Jahre alt und nicht mehr jung.
Die Revolution kam 1848 auch in der „kleinbürgerlichen Beschränktheit der Landstadt“ (Schwering 126) an. Sie konnte Weber einen Ausflug aus seinem „Mangel an geistiger Anregung und Förderung“ bieten. Schwering sieht ihn „mit seinen vollen Sympathien auf der Seite der Linken“ (136), gegen Demagogie, aber für eine „bessere Demokratie für die Armen und Leidenden“. Das klingt nach Sozialdemokratie.
Ein „Funken“ (139) der Revolution fiel in das Driburger Tal, in den „stillen westfälischen Badeort“. Ein „Verein der Volksfreunde“ wurde gegründet.
Weber sah sich als Demokrat und wurde Mitglied dieser demokratischen „Partei“. Er trat als Redner auf, nicht radikal, sondern gemäßigt. Die Bezeichnung „roter Weber“ entstand.
Eine aufgehetzte Gruppe wollte das Haus eines jüdischen Kaufmanns stürmen und plündern. Weber, der „volksfreundliche Arzt“, trat den Leuten entgegen und konnte sie zur Besinnung bringen. Trotzdem eckte er an, der Driburger Kaplan (Vikar) Johannigmann, ein Monarchist, kanzelte ihn in St. Peter und Paul mehrmals ab. Er predigte, Demokraten störten die öffentliche Ordnung, und Katholiken dürften keine Demokraten sein.
Eine Gruppe von Driburgern und Auswärtigen zog protestierend und Freiheitslieder singend mit roten Fahnen zum Gräflichen Bad. Der Hausherr hatte sich in Sicherheit gebracht. „Ein gewisser Arzt Weber“ wurde von dem Kaplan mit den Aufrührern in einen Topf geworfen, obwohl er gar nicht dabei war. Er versuchte den Zuhörern bei den Gastwirten Wolff und Huneke die Demokratie zu erklären.
Seine Freunde wollten Weber dann auch als Kandidaten für die zweite Nationalversammlung in Berlin Anfang 1849 nominieren.
Stattdessen gründete er eine Familie.
Im Juli 1848 lernte er bei einem Hausbesuch in Altenbeken Anna Gipperich aus Meschede kennen, die Tochter eines königlichen Bergbeamten. Im Haus des Direktors Simmersbach, der die Eisenwerke leitete, nannte man ihn den „schönen, schwarzen Doktor“ (142). Nun wandelte er auf Freiersfüßen. Er reiste nach Meschede, die beiden verlobten sich. Sie schrieben sich Briefe. Er bedauerte, dass er „in einem so verlorenen Winkel der Erde“ wohne und die Welt nur vom Hörensagen kenne. „Welch eine traurige Hauptstadt ist die Hauptstadt Paderborn!“
Weber fürchtete, dass die Paderborner Goldschmiede den Verlobungsring zu weit gearbeitet hatten, weil sie die „breiten Hände ihrer Landsmänninnen“ (145) zum Maß genommen hatten. Die Liebe hatte ihn angeblich „edler, besser und menschlicher“ gemacht.
Dann endlich schrieb er ihr von seinem „Volksverein“, der ihn und sechs weitere „Demokraten“ gewählt habe. Er sollte als Deputierter nach Berlin gehen. Er aber lehnte ab.
Statt mit der Steuerverteilung, bäuerlichen Lasten, Arbeitsschutz und Gewerbeordnung befasste er sich mit der Heiratsanzeige und Gedichten an seine Verlobte sowie der Einrichtung einer Mietwohnung im Haus des Färbers Bobbert der Kirche gegenüber.
Die Hochzeit fand am 21. Januar 1850 in Meschede statt. Webers Bruder Konstanz traute die beiden. Im Februar 1851 kam Elisabeth zur Welt.
Da war die Revolution längst vorbei. Weber war erst einmal nur noch Arzt und Dichter. Erst einige Jahre später wurde er in den Rat gewählt und durfte Protokolle schreiben. Lesen und schreiben konnte er ja.
Die Lieder von der Teutoburg, in denen er zum Freiheitskampf aufruft und die Fürsten ebenso wie die Geistlichen kritisiert, wurden nicht veröffentlicht. Er schrieb Gedichte über christliche Nächstenliebe, soziales Elend und die Natur in seiner Heimat. Also reduzierten auch seine Nachfahren ihn auf die westfälische christliche Tradition und zitierten den berühmten Blumenstrauß am Hut. Im Preußischen Landtag gehörte Weber ab 1862 der katholischen Fraktion und dann dem Zentrum an.
Da blieb nichts Rotes.
Über Thomas Mann (1875 – 1955) titelten Presseorgane im Jahr 2025: „Vom Reaktionär zum Antifaschisten“, „Vom Reaktionär zum Demokraten“, „Vom Reaktionär zum Vernunftrepublikaner“. Von politischer Emanzipation zum mutigen Streiter für die liberale Demokratie war die Rede.
Schön wäre es für uns Demokraten, wenn wir auch unseren Lokaldichter so einordnen könnten. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass seine Entwicklung umgekehrt verlief.
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