Nachtwolke Teil 1
Das Gedicht „Nachtwolke“ entwarf Friedrich Wilhelm Weber 1838 und bearbeitete es bis 1852. Wenn die Menschen, denen er Demagogenriecherei vorwarf, es 1848 gelesen und auch richtig interpretiert hätten, wäre wohl auch Weber zum Auswandern gezwungen gewesen.
Es ist sehr komplex, historisch überladen, zu symbolhaft geraten, als dass es zur Lektüre der Dreizehnlinden-Liebhaber hätte werden können.
Warum nannte er das Gedicht Nachtwolke?
Am 21. Juni jedes Jahres findet die sogenannte Sommersonnenwende statt. Die Tage werden nun wieder kürzer. Um diesen längsten Tag herum kann man am Nachthimmel bläulich leuchtende Wolken sehen. Die Engländer nennen sie „Noctilucent clouds“. Sie bilden sich in etwa 80 Kilometern Höhe, dort, wo auch Sternschnuppen entstehen. Dort oben ist die Luft extrem dünn. Bei minus 140 Grad gefriert der Wasserdampf, die Eiskristalle verbinden sich zu Wolken und reflektieren das Sonnenlicht. Dieses Strahlen kann man in nördlicheren Gebieten sehen, wenn die Sonne gerade unter dem Horizont versinkt und der übrige Himmel bereits dunkel ist.
Die nachtleuchtenden Wolken werden als wunderschön bläulich bis hin zu silbrig-weiß gefärbt beschrieben und sind in sich fein gewellt. Man sieht sie am besten spät abends oder vor Sonnenaufgang bei klarem Himmel.
„Vergiß nicht, daß jede schwarze Wolke eine dem Himmel zugewandte Sonnenseite hat.“ Webers Nachtwolke?
Weber geht in seinem Gedicht nicht auf das Himmelsphänomen ein. Er schreibt von dunklen Flügeln, umdüsterten Stadtmauern, der in Schlaf versunkenen Stadt, vom schlummernden Pompeji, von dem blassen Mond als Leichenfackel, von der Nacht, die eine Schmach verdeckt und vergessen macht. Er ruft die Stadt auf, wach zu werden. Sie wird als Ruine enden, doch aus dem Staub soll neues Licht entstehen.
Weber war belesen und gebildet. Es ist möglich, dass er Nachtwolken gesehen hat, auf seiner Reise nach Schweden etwa. Es ginge zu weit, hier über den Hoffnungsschimmer am dunklen Horizont zu spekulieren.
Webers Stadt – Greifswald? – ist groß und stolz, aber sie schläft. Weber vergleicht sie mit einem sinnlos betrunkenen Zecher nach einem Weingelage, der wüst, unverschämt und frech träumt, dem es im Hirn und in den Adern kocht, aber eben nur im Traum.
In dem Gedicht folgt harsche Kritik an den Herrschenden: an der Justiz und ihren Handlangern, an der Kirche, an den Fürsten, aber auch an den Frauen, an den Reichen, an den Banken. Dann kommt der Rächer, aber nicht von oben, sondern „von unten“.
Weber bezieht sich hier auf den geflohenen Dichter Ferdinand Freiligrath, der in seinem Gedicht „Von unten auf“ eine radikal neue Welt beschwört.
„Wir sind die Kraft! Wir hämmern jung das alte morsche Ding, den Staat,
Die wir von Gottes Zorne sind bis jetzt das Proletariat!“
Aber Weber weiß, dass die Revolution vorbei ist. Am Ende wendet er sich weinend seinem grünen Freund, dem Wald zu.
Er kapituliert.
Schreibe einen Kommentar