Von Elisabeth Affani

Wie das Zugfahren die Gesellschaft und das Verhalten der Menschen veränderte, schildert Friedrich Gerstäcker in einer „humoristischen Erzählung“ von 1865 (Q 1 S. 107). Er stellt die Eisenbahn als Instrument des Fortschritts dar. Die Gemütlichkeit habe jedoch im Vergleich mit der guten alten Postkutsche abgenommen. Es gebe keine Reisegefährten mehr, man kenne die anderen Passagiere nicht mehr und schließe auch keine Freundschaften wie „unter früheren Verhältnissen“. Die beschauliche Ruhe sei vorbei, und auf säumige Reisende warte der Zug nicht. Der Dampfwagen bringe wunderliche Leute zusammen.

So idyllisch waren die Kutschfahrten keineswegs. Eine Fahrt in einer engen, holpernden, vollbepackten Kutsche mit Pferden, die scheuen und mit dem Fahrzeug durchgehen konnten, mit einer Achse, die brechen konnte, brachte durchaus etliche Male die Insassen in Lebensgefahr. Wenn Friedrich Wilhelm Weber in der Mitte des 19. Jahrhunderts  mit der Kutsche über den Stellberg nach Buke oder Lippspringe unterwegs war, musste der Kutscher mit seinem Gespann nicht nur eine erhebliche Steigung, sondern auch den einspurigen Hohlweg bewältigen, an dessen Anfang er mit der Peitsche knallte, um Entgegenkommenden anzuzeigen, dass er den Weg nun befuhr. Wie ging Weber mit der sich rasch ausbreitenden Eisenbahn um?

Johannes Mahr stellt fest, dass sich im 19. Jahrhundert die Bedeutung der Bahn „für die Industrialisierung, für die Veränderung im Charakter der Städte, für den Umbau der bisher fast unberührten Landschaft, für die Form des Zusammenlebens kaum überschätzen“ lasse (Q 2 S. 11). Für ihn ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Technik und der Literatur bedeutend. Er beschreibt die Polarisierung, die teilweise zu einem angenommenen Gegensatz von Kultur und Zivilisation führte. Von vielen Schriftstellern wurde demnach die Technisierung als Gefahr und Bedrohung für die menschliche Natur empfunden. Dennoch haben laut Mahr alle namhaften Dichter des 19. Jahrhunderts Eisenbahngedichte geschrieben, Heinrich Heine und Gottfried Keller inbegriffen.

Weber trat in den ersten Jahrzehnten seiner dichterischen Nebenbeschäftigung vor allem mit romantischer Naturlyrik hervor. Auf sie beruft man sich, wenn man seine Verbundenheit mit seinem Geburtsort Alhausen, dem „Dörfchen treu und gut“, herausstellt. Dass er dreißig Jahre lang dieser Idylle mittels der Eisenbahn entfliehen konnte, stand niemals zur Debatte. Interessierte ihn die technische Seite seines Reise- und Transportweges überhaupt? Fand er die richtigen Worte, um die Technik in sein lyrisches Werk einzubinden? Meinte er, sie im Dienste einer wahren Poesie ignorieren zu müssen? Seine lyrische Epik war zeitabgewandt, rückwärtsblickend. Mit der Eisenbahn hätte er vorwärts schauen können. Was hinderte ihn daran?

Es gibt tatsächlich einen Versuch von Weber, das Motiv aufzugreifen. Johannes Mahr zitiert die ersten zehn Zeilen von Webers Gedicht „Eisenbahnphantasie“, und zwar veröffentlichte Weber es 1857 unter dem Pseudonym B. Werder in einer Festschrift zum fünfundzwanzigsten Bestehen der Lippspringer Bäder an der Arminiusquelle. Mahr bezeichnet den „Versuch, durch mythologische Figuren die neuen Kräfte zu benennen“ (Q 2, S. 117), als erfolglos und drückt seine Freude darüber aus, dass Weber keine weiteren Versuche unternommen habe.

Der Renner stampft und braust dahin! Jetzt durch des Blachfelds Niederung, /Jetzt über des Berges schroffen Grat, über den Strom mit kühnem Schwung; /Jetzt aus des Tunnels schwarzem Schlund, der ihn verschlang, sein Brodem braut: – /Hermode auf dem Hela-Ritt! Es keucht das Roß, dem Reiter graut! /Jetzt über Wall und Viadukt weitaus im Sturm die Mähne weht! /Ha! Durch die Lüfte ras’t er hin, ein düstrer, qualmiger Komet. / Krieg bringt er, wie im Jahre Eilf, Krieg Allem, was bestand und galt: / Was früher groß, war gestern Nichts, was gestern jung, ist heute alt. / Ein Dämon ist’s, der ihn beseelt, den in geheimnißvoller Nacht /Am Flammenheerd Vulkans gezeugt das Wasser mit des Feuers Macht …

Weber ist nicht Adalbert von Chamisso, der schon 1830 die Eisenbahn lyrisch verwertete, auch nicht Theodor Fontane, der das Unglück von der Brücke am Tay zu einer Ballade über den Tand, der das Gebilde von Menschenhand ist, verarbeitete und zu einem Lesebuchtext verewigte. Weber ist nicht Peter Rosegger, der unvergesslich seine erste Eisenbahnfahrt schilderte und das Motiv der Eisenbahn in mehreren Werken aufgriff, und nicht Georg Herwegh, der Poesie auch im Qualm eines Dampfschiffs entdeckte.

Weber passt in die Reihe der Dichter, die den wachsenden Materialismus beklagten und innere Werte wie eine tiefe Gottgläubigkeit dagegen setzten. Hier scheiden sich die Romantiker von den Realisten.

Gibt es von Weber Reisebeschreibungen? Wie fühlte es sich an, als er das erste Mal die Fahrt nach Berlin antrat? Der Dichter Weber, der über jedes Schlüsselblümchen am Bachrande und jeden Postillon warme Verse komponierte, fand keine Worte über das Verkehrsmittel des 19. Jahrhunderts, das so viele Menschen emotional berührte.

Von Bad Driburg über Hannover kann man heute mit öffentlichen Verkehrsmitteln, hier mit der Eisenbahn, in knapp fünf Stunden den Hauptbahnhof in Berlin erreichen. Der Abgeordnete des Preußischen Landtags Friedrich Wilhelm Weber benötigte 1862 vermutlich einen ganzen Tag, wenn er nicht sogar eine Übernachtung einplanen musste.

Für Freunde der Eisenbahn dürfte die Frage interessant sein, was Weber während der langen Zugfahrt nach Berlin am Gleisrand entdeckte und in seinen Aufzeichnungen festhielt.

Wolfgang Ewers vom Verein der Bad Driburger Eisenbahnfreunde stellte mit Hilfe eines Putzger Weltatlas, erschienen in der 85. Auflage 1963, die mögliche und wahrscheinliche Fahrtroute des Abgeordneten Weber im Jahre 1863 zusammen. Ewers nimmt an, dass Weber zunächst mit der Postkutsche von Bad Driburg, über den alten Postweg und den Stellberg, nach Buke fuhr, wo es an der Chaussee nach Paderborn eine Poststation gab, von der man ab 1853 in den Zug nach Warburg umsteigen konnte. Zu der Einweihung der Strecke Paderborn–Altenbeken–Warburg kam als Ehrengast der preußische König Friedrich Wilhelm IV. mit Gefolge. Stand auch Weber unter den Zuschauern und winkte?

Von Warburg ging es nach Kassel, danach folgten Bebra (seit 1849), Erfurt und Halle (1848/49), von dort konnte man weiter nach Köthen fahren, das damals bereits ein Knotenpunkt war, und schließlich nach Berlin (1841). Wolfgang Ewers nimmt an, dass um 1850 deutsche Lokomotiven mit einer Geschwindigkeit von unterhalb 50 km/h fuhren.

Im Jahre 1863 erhielt auch Bad Driburg einen Bahnhof. Doch erst 1872 konnte Weber über Altenbeken nach Hannover und von dort weiter nach Berlin fahren. Die Strecke war 200 km kürzer, inzwischen fuhren die Züge schneller, die besten Lokomotiven erreichten bis zu 70 km/h. Theoretisch konnte man Berlin nun in etwa sechs Stunden erreichen, also in der Hälfte der Zeit, die Weber noch 1863 benötigte.

Quellen:

(1) Friedrich Gerstäcker: Auf der Eisenbahn, in: Berthold Auerbach’s deutscher Volks-Kalender auf das Jahr 1865. S. 107–118, http://de.wikisource.org

(2) Johannes Mahr, Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, München 1977; http://daten.digitale-sammlungen.de

(3) Arminia. Geschichtliches und Gedichtetes zur Feier des fünfundzwanzigsten Bestehens der Bäder an der Arminiusquelle zu Lippspringe. Paderborn 1857, S. 78-84, Zit. S. 78

© Elisabeth Affani 2013