Schein und Sein – Die Suche nach Erhabenheit
Hölderlins Hyperion Teil 1
Es hat mehrere Ansätze gegeben, dem kleinen Städtchen Driburg am Osthang des Egge-Gebirges ein Flair zu verleihen, das es als etwas Besonderes erscheinen lässt, es über andere Orte erhebt. Heute nennt man es auch Alleinstellungsmerkmal. Mit dem Nationalpark hat es nicht geklappt.
Die Bemühungen der Familie von Sierstorpff, später von Oeynhausen-Sierstorpff, um den Ausbau der Kuranlagen gehörte eindeutig dazu. Die Einwohner der Stadt kamen nicht immer hinterher, bisweilen verharrten sie sogar in einer ablehnenden Haltung.
Als Driburg sich Bad Driburg nennen durfte, gefiel es fast allen, kurz nach einem verlorenen Krieg. Das Flair ließ noch auf sich warten. Nach dem zweiten großen Krieg war es noch schwieriger, weil auch der Kurbetrieb gelitten hatte.
Friedrich Wilhelm Weber gab der Stadt lange das Gefühl der Erhabenheit. Seine Büste findet man im Kurpark, seit 1934. Als Arzt nutzte er den Bürgern persönlich, als Politiker vertrat er sie unauffällig im fernen Preußischen Landtag in Berlin, und als Dichter rührte er ihr Herz. Die folgenden Generationen konnten gar nicht oft genug seine Verse zitieren: „Wonnig ist’s, in Frühlingstagen / Nach dem Wanderstab zu greifen / Und, den Blumenstrauß am Hute, / Gottes Garten zu durchschweifen.“ Man definierte ihn fast ausschließlich über sein Epos „Dreizehnlinden“.
Im Nationalsozialismus konnte man ihn leicht für völkisch-nationalistische Erzählungen missbrauchen. Er konnte sich nicht wehren.
Nun ist er aus der Mode gekommen.
An seine Stelle ist, auf Initiative von Annabelle Gräfin von Oeynhausen-Sierstorpff, Friedrich Hölderlin getreten. Zuletzt stellte man ihn an die Seite Ludwig van Beethovens, den er zwar nie kennenlernte, mit dem er aber dasselbe Geburtsjahr teilte. Beethovens Erhabenheit zweifelt niemand an.
Welcher Driburger könnte aber spontan einen Vers von Hölderlin aufsagen?
„Aber schön ist der Ort, wenn in Feiertagen des Frühlings / Aufgegangen das Tal, wenn … Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume / Zahllos, blühend weiß, wallen in wiegender Luft.“ Zu schwer.
Einfache Kost ist auch „Hyperion“ nicht. Webers Dreizehnlinden-Kloster kann man immerhin in unserer Region verorten. Hyperion schwärmt im fernen Griechenland, etwa von den geselligen Städtern in Smyrna. Sicher hätte er sie auch in unserem Badeort gefunden, wenn er es versucht hätte. Er will sich den Sitten und Gebräuchen der Bewohner anpassen, findet aber unter ihnen nicht genug Kraft und Geist.
„Es war mir wirklich hie und da, als hätte sich die Menschennatur in die Mannigfaltigkeiten des Tierreichs aufgelöst, wenn ich umher ging unter diesen Gebildeten. Wie überall, so waren auch hier die Männer besonders verwahrlost und verwest.“
Geistesschönheit und Jugend des Herzens vermisst er.
„Sahn jene Menschen einen Funken Vernunft, so kehrten sie, wie Diebe, den Rücken.“
Da möchte man doch lieber wieder Webers Idylle sehen: „Das ist dort hinter den Weiden, / das Dörfchen treu und gut, / Der einzige Winkel der Erde, / wo meine Seele ruht.“
Hölderlin hätte mehr als drei Wochen in Driburg bleiben sollen. Er hätte in Webers Dörfchen, Alhausen, sein pessimistisches Welt- und Menschenbild ändern sollen. „Komm! ins Offene, Freund!“ schreibt er doch zu seinem Gang aufs Land. Er hätte zur Iburg wandern sollen, wo er dem Himmel näher gewesen wäre. Stattdessen zieht er sich zurück. „Weder die Berge sind noch aufgegangen / des Waldes Gipfel nach Wunsch.“
„Ich war es endlich müde, mich wegzuwerfen, Trauben zu suchen in der Wüste und Blumen über dem Eisfeld.“
Weber begegnet den Widrigkeiten des Lebens pragmatischer, und wenn es hart wird, sucht er Trost im Glauben. Hölderlin fehlt solch ein Anker.
„Pathos, Schönheitssinn, Erhabenheit besitzen ja heute keine große Konjunktur mehr“, sagt ein Hölderlin-Experte. Vielleicht hat er unrecht.
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